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Liane hat nach Dialektik gefragt, das wird die wenigsten hier interessieren. Außerdem ist eine Erklärung von Dialektik erstens unglaublich inhaltsarm, zweitens wird Dialektik derart häufig komplett falsch aufgefasst, dass ich mir - und das ist ungewöhnlich für mich! ;D - 'ne astreine Erklärung selbst nicht zutraue. Den Versuch der Erklärung möchte ich daher an einem Beispiel, der dialektischen Erklärung der Demokratie, durchführen.
Der erste Teil sind daher sehr abstrakte Gedanken, die durchaus Erkenntnistheoretisch sind, und Erkenntnistheorie halte ich für ein absolut sinnloses Geschäft. Das heißt ber nicht, dass man nicht ein paar wahre Sätze über Erkenntnistheorie sagen kann. Wer sich dafür wirklich interessiert, kann gerne daran teilhaben, aber ich werde da bestimmt nicht lange dran bleiben.
Der zweite Teil ist dann eine Erklärung des Begriffs von Demokratie und eine Kritik des demokratischen Selbstbewußtseins, außerdem noch eine Herleitung des Faschismus aus der Demokratie samt einer Kritik des faschistischen Denkens.
Also, los gehts.
Menschliches Denken ist begriffliches Denken. Man kann spekulieren, seit wann das so ist und weshalb das so ist, aber das ist dann wirklich nur Spekulation und gibt nicht viel her. Bleibt es erstmal bei der Beobachtung, dass es so ist: Menschliches Sein geht einher mit Bewußtsein und dieses Bewußtsein äußert sich nicht nur als Emotionen, Bilder, Erinnerungen und Sinneseindrücke, die an einen herantreten, sondern als denkende Bewältigung von Aufgaben.
Denken bezieht sich immer auf eine Sache, über die da gedacht wird, diese Sache bezeichnet der Begriff. Der Begriff einer Sache ist nicht mit einem bloßen Namen oder einer Definition zu verwechseln. Es ist ja zum Beispiel ganz gleichgültig, dass ich "Stefan" heiße, mit "Hugo" könnt ihr auch gut verfahren, das sagt über mich nichts aus, die Sache "Hugo" bleibt die gleiche. Das heißt, aus dem Namen lässt sich kein Schluss ziehen. Name ist nichts weiter als Identität, A = A, ziemlich tot und ohne Bewegung das ganze.
Der Begriff bekommt erst gehalt, wenn das Subjekt mit einem Prädikat versehen wird. Hugo ist ein Typ der gerne wahre Sachen im Internet sagt, zum Beispiel. In dieser Bestimmung des Begriffs von Hugo (Typ der gerne wahre Sachen im Internet sagt) kommen selbst wieder Begriffe als Prädikat vor, die man auch begreifen kann. Was ist Internet, was sind Sachen, was ist Wahr, was ist ein Typ, was bedeutet es, etwas gerne zu tun, und was ist eigentlich dieser Sprechakt? Man sieht, da kommt langsam Bewegung in die Sache! A = A ist eine Aussage, die niemand in Zweifel ziehen, aus der man aber auch keine Schlüsse ziehen kann, mit A = B ^ C ^ D ^ ... ist schon viel mehr erreicht, jetzt kommt man zu Erkenntnissen und kann prüfen, ob die Behauptung, die ich aufgestellt habe, sich auch wirklich so verhält.
Man könnte zum Beispiel fragen, ob ich da wirklich Sachen sage oder sie nicht viel mehr schreibe. Man könnte zur Sprache bringen, ob das denn wirklich einen Unterschied macht, ob ich jetzt rede oder schreibe. Selbstverständlich sind das verschiedene Sachen, aber sie haben beide etwas gemeinsames. Das gemeinsame ist, dass ich mit Begriffen einen Sachverhalt erklären will. Sagen wir also lieber, "Hugo ist ein Typ der im Internet gerne Sachen erklärt".
Das Verfahren von eben ist das was man gerne unter Dialektik versteht. Die These war: Ich sage, die Antithese war: stimmt gar nicht, ich schreibe, die Synthese ist: Letzen Endes ist alles, was ich tue, zu erklären, eine Sache, die sowohl dem sprechen als auch dem schreiben gemeinsam ist. (Kurze Anmerkung: Dieses Suchen von etwas gemeinsamen einer Menge von Sachen nennt sich Abstraktion. Wenn ich danach frage, was das gemeinsame von Rosen, Ahorn und Algen ist, dann komme ich zum Begriff der "Pflanze". Abstraktion heißt "absehen", das, wovon abgesehen wird, sind die Unterschiede zwischen den Sachen: Rote Blüte, Blatt und holziger Stamm, Einzeller - davon sehe ich ab, übrig bleibt sowas wie Chlorophyll oder Zellwand, was das gemeinsame aller Pflanzen ausmacht. Ist natürlich nicht ganz richtig, das gemeinsame der Pflanzen ist im wesentlichen ihre Evolution, gibt halt auch Pflanzen ohne Chlorophyll, aber darum soll's hier nicht gehen, ich will ja immer nur veranschaulichen, wenn ich hier über Sachen rede. Eben gerade wollte ich veranschaulichen, was Abstraktion bedeutet, das ist vielen Leuten ja nicht so richtig klar und ein sehr wichtiger Begriff in der Logik des Denkens.)
Und in der Tat, da hab ich jetzt gerade wirklich Dialektik betrieben, aber darin erschöpft sich Dialektik nicht und es ist vor allem auch keine allgemeine Methode. Das ist das, was zum Beispiel Popper unter Dialektik versteht: Man macht eine Behauptung und versucht dann krampfhaft, die zu Widerlegen, was raus kommt, ist dann eine neue These und die widerlegt man am besten auch gleich. So stellt Popper sich Dialektik vor und mit einer solchen Dialektik wäre Popper auch zufrieden, man sollte das nur seiner Meinung nach lieber "Trial and Error" nennen und nicht behaupten dass da am Ende auch nur ein bißchen Wahrheit herauskommen würde.
Ich sage, wir haben durch die Dialektik eben doch durchaus etwas gelernt, nämlich, was das gemeinsame von Sprechen und Schreiben ist, die Erklärung in Begriffen.
Vielleicht hab ich da etwas übersehen und es ließe sich noch viel mehr oder etwas ganz anderes über Sprechen und Schreiben sagen, das ist gerade nicht so wichtig, ich wollte nur einen kurzen Einblick in Dialektik geben.
So, jetzt zu dem, was viele Leute sich falsch unter Dialektik vorstellen, Popper hab ich kurz erwähnt, der ist ein bürgerlicher, jetzt mal zu falscher Vorstellung von Dialektik, wie sie auch manche Marxisten und ihre Vorgänger teilen.
Zu Hegel, der sah Dialektik nicht nur in den Begriffen, der sah sie in der Welt wirken. Für Hegel gilt nicht, dass wir durch vernünftiges Schlussfolgern Erkenntnisse über die Welt ziehen, für ihn galt viel mehr, dass Vernunft in der Welt liegt, die da erkannt wird. Das führt zu einer interessanten Art des Urteilens: Für Hegel ist eine Sache dann vernünftig, wenn sie verstanden ist. Wenn ich etwa in der Lage bin, zu beweisen, dass Kapitalismus funktioniert, dann ist Kapitalismus für Hegel damit vernünftig und eine Sache gegen die man sich nicht wehren sollte.
Kritiker Hegels, die Junghegelianer, gingen vom begreifen über zum kritisieren. Während für Hegel schon feststand, dass eine Sache gut ist, wenn sich darüber nachdenken lässt ("Was wirklich ist, ist auch vernünftig", "Das Ganze ist das Wahre"), war für die Junghegelianer klar, dass man die Sachen alle kritisieren muss. Für die Junghegelianer müssen die wahren Begriffe also erst noch realisiert werden. Es reicht nicht, zu sagen, was Gesellschaft ist, man soll sich kritisch zur Gesellschaft verhalten und stattdessen von einer wahren Gesellschaft träumen.
Dann kam Marx und meinte: Alles ******** mit dieser Dialektik wie ihr sie betreibt. Ob ich eine Sache gut finde oder sie kritisiere, das weiß ich doch erst, nachdem ich überhaupt schon etwas von dieser Sache verstanden habe.
Während also Althegelianer und Junghegelianer Dialektik und Kritik als methodisches Vorurteil verstehen - man befolge einfach die "Regeln der Dialektik" oder stelle sich im voraus kritisch zu allem und jedem und kommt immer zu einem wahren Ergebnis - ist Dialektik bei Marx nur noch die Methode der Darstellung von Wissen, das man bereits gesammelt hat.
Dein Bild von Dialektik, Liane, nach dem Dialektik eine Methode wäre, ist deshalb ja gar nicht so unbegründet, das denken wirklich viele und Dialektik als Methode wäre tatsächlich kritikwürdig. Ob eine Methode zu etwas taugt, steht eben nie fest, wenn ich noch gar nichts über eine Sache weiß. Ich kann zum Beispiel niemandem empfehlen, "Messung mit einem Linial" als Methode der Wahrheitsfindung zu benutzen, wenn ich über die Sache, deren Wahrheit entdeckt werden soll, noch ganz und gar im dunkeln liegt. Mit einem Linial kann ich messen, wenn ich eine Länge vergleichen will, was ja auch schonmal bedeutet, dass das Ding, mit dem ich mich beschäftige, eine Länge hat. Dass es eine Länge hat, das muss ich über das Ding aber wirklich schon wissen, bevor diese Methode einen Sinn hat. Ich kann also wirklich nicht behaupten, dass eine Methode als Vorurteil mir irgendein Wissen versprechen würde. Ein Linial an eine Steuererklärung anzulegen bringt mir beispielsweise gar nichts. Und mit Dialektik kann ich meine Penislänge nicht messen, sondern sie höchstens ersetzen, indem ich viel von "Synthese" rede.
So, Dialektik ist also keine Methode. Dialektik taugt aber sehr gut zur Darstellung von Wissen. Das geht so: Die ganze Menge an Begriffen, die ich benutze, bilden eine Totalität, ein System, in dem, wenn ich gut arbeite, jeder Begriff unersetzlich zur Erklärung eines Sachverhalts taugt und kein Begriff überflüssig ist. Wenn ich etwa die Totalität des Kapitalismus erklären will, dann rede ich nicht über Ästhetik, außer ich kenne einen Umstand, der beides verbindet. Und wenn ich über Kapitalismus rede und so tue, als würde es kein Geld oder keine Armut geben, dann ist der ganze Rest an Begriffen, die ich auffahre, offensichtlich auch zu nichts nutze. Wenn ich eine Darstellung des Kapitalismus leiste, so wie Marx das macht, dann wird das System an Begriffen, die ich auffahre, nach und nach immer größer. Marx fängt mit dem Begriff der Ware an und sagt: Waren, das sind Produkte menschlicher Anstrengung, die getauscht werden. Dann macht er mit dem Tauschen weiter: Beim Tauschen werden verschiedene Dinge nach gleich gegen gleich getauscht. Und wieder geht es weiter: Wären diese Dinge ihrer Qualität (nicht: Güte, sondern: sachliche Eigenschaften) nach gleich, müsste man sie aber gar nicht erst tauschen! (Ein Widerspruch!) So kann sich das also nicht verhalten. Das, was da getauscht wird, ist also nicht die Ware als Ding (das man anfassen kann oder nicht), sondern die Ware als Verdinglichung von etwas, was allen Waren gemeinsam ist. Außerdem wird da nach Quantitäten getauscht, x Ware A = y Ware B. Das gleiche, was da in diesen Waren liegt, ist die gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeitskraft, die zur Produktion der Waren benutzt wird. Und so weiter und so fort, da geht es dann weiter, und je weiter man in der Darstellung kommt, desto mehr weiß man über alle Begriffe, die in der Darstellung vorher zum Einsatz kamen.
Bei Marx zum Beispiel ist von Ausbeutung eine Zeit lang überhaupt keine Rede. Die Ausbeutung zeigt sich nicht im Tausch, den Marx eingangs behandelt, sondern erst in der Produktion, in der etwas getauscht wird, was gar nicht gleich zu allen anderen Waren ist: Arbeitskraft. Natürlich wusste Marx auch schon bevor er das Kapital geschrieben hat, dass sich das so verhält. Die Idee ist ihm nicht erst beim Schreiben gekommen. Das bedeutet: Marx setzt Dialektik hier nicht als Methode der Erkenntnis ein, sondern lediglich, um seine logischen Schlüsse sauber und nachvollziehbar aufzuschreiben. Dabei achtet Marx darauf, keine Vorgriffe zu machen, sondern die Begriffe Schritt für Schritt, Schluss um Schluss und Urteil um Urteil zu entwickeln.
Jetzt gibt es auch noch andere Auffassungen von Dialektik. Nachdem entwickeln sich nicht nur die Begriffe dialektisch, sondern die Sachen. Eine solche Sache ist etwa die Geschichte. Demnach entwickelt sich die Geschichte Dialektisch, als Abfolge von These, Antithese und Synthese. Das wirkt dann so, als würde eine Vernunft in der Geschichte liegen: Dass in Sparta mal ein König geherrscht hat, führt schon irgendwie irgendwann dazu, dass morgen Kommunismus ist. Und dass mal Faschismus sein würde, das stand nicht nur erst mit der französischen Revolution fest, sondern sogar schon damals, als der erste Urmensch den ersten Begriff in den Mund genommen hat (in die Richtung würde Adorno in der Dialektik der Aufklärung gehen).
Der erste Teil sind daher sehr abstrakte Gedanken, die durchaus Erkenntnistheoretisch sind, und Erkenntnistheorie halte ich für ein absolut sinnloses Geschäft. Das heißt ber nicht, dass man nicht ein paar wahre Sätze über Erkenntnistheorie sagen kann. Wer sich dafür wirklich interessiert, kann gerne daran teilhaben, aber ich werde da bestimmt nicht lange dran bleiben.
Der zweite Teil ist dann eine Erklärung des Begriffs von Demokratie und eine Kritik des demokratischen Selbstbewußtseins, außerdem noch eine Herleitung des Faschismus aus der Demokratie samt einer Kritik des faschistischen Denkens.
Also, los gehts.
Also, die Frage ist, was Dialektik ist, und die allgemeinste Antwort ist: Das allgemeine Verfahren des Denkens, im Prinzip: Logik. Aber nicht die formale Logik der Mathematik, sondern die Logik des Begriffes. Das Zeug mit These, Antithese und Synthese spielt eine Rolle, aber erschöpft diese Logik keinesfalls.Habe ich das richtig verstanden, dass Dialektik eine Synthese aus These und Antithese ist?
Wenn ja, dann kann man Dialektik auch "missbrauchen" (wie überraschend )
Beispiel ist Hitlers False-Flag des Reichstagsbrandes
Was sagt uns diese "überragende" Erkenntnis?
Dass MD nur ein Werkzeug ist, aber nicht das Wesen des Denkens!
Aber den Rest wollte ich mir noch für meine Antwort auf Molattows Post im "Marktwirtschaftsthread" aufheben.
[...]
Logik ist nicht der letzte Stein der Weisheit, Hugo. Und ich denke das weißt du.
Logik basiert auf "cause&effect". Ein allg. deterministisches Prinzip der Natürlichkeit der kosmischen [OU] Ordnung. Das trifft aber nicht auf die Psyche zu (ich nutze hierbei den griechischen Term, obwohl er nicht ansatzweise den Sachverhalt akurat verdeutlicht.)
Menschliches Denken ist begriffliches Denken. Man kann spekulieren, seit wann das so ist und weshalb das so ist, aber das ist dann wirklich nur Spekulation und gibt nicht viel her. Bleibt es erstmal bei der Beobachtung, dass es so ist: Menschliches Sein geht einher mit Bewußtsein und dieses Bewußtsein äußert sich nicht nur als Emotionen, Bilder, Erinnerungen und Sinneseindrücke, die an einen herantreten, sondern als denkende Bewältigung von Aufgaben.
Denken bezieht sich immer auf eine Sache, über die da gedacht wird, diese Sache bezeichnet der Begriff. Der Begriff einer Sache ist nicht mit einem bloßen Namen oder einer Definition zu verwechseln. Es ist ja zum Beispiel ganz gleichgültig, dass ich "Stefan" heiße, mit "Hugo" könnt ihr auch gut verfahren, das sagt über mich nichts aus, die Sache "Hugo" bleibt die gleiche. Das heißt, aus dem Namen lässt sich kein Schluss ziehen. Name ist nichts weiter als Identität, A = A, ziemlich tot und ohne Bewegung das ganze.
Der Begriff bekommt erst gehalt, wenn das Subjekt mit einem Prädikat versehen wird. Hugo ist ein Typ der gerne wahre Sachen im Internet sagt, zum Beispiel. In dieser Bestimmung des Begriffs von Hugo (Typ der gerne wahre Sachen im Internet sagt) kommen selbst wieder Begriffe als Prädikat vor, die man auch begreifen kann. Was ist Internet, was sind Sachen, was ist Wahr, was ist ein Typ, was bedeutet es, etwas gerne zu tun, und was ist eigentlich dieser Sprechakt? Man sieht, da kommt langsam Bewegung in die Sache! A = A ist eine Aussage, die niemand in Zweifel ziehen, aus der man aber auch keine Schlüsse ziehen kann, mit A = B ^ C ^ D ^ ... ist schon viel mehr erreicht, jetzt kommt man zu Erkenntnissen und kann prüfen, ob die Behauptung, die ich aufgestellt habe, sich auch wirklich so verhält.
Man könnte zum Beispiel fragen, ob ich da wirklich Sachen sage oder sie nicht viel mehr schreibe. Man könnte zur Sprache bringen, ob das denn wirklich einen Unterschied macht, ob ich jetzt rede oder schreibe. Selbstverständlich sind das verschiedene Sachen, aber sie haben beide etwas gemeinsames. Das gemeinsame ist, dass ich mit Begriffen einen Sachverhalt erklären will. Sagen wir also lieber, "Hugo ist ein Typ der im Internet gerne Sachen erklärt".
Das Verfahren von eben ist das was man gerne unter Dialektik versteht. Die These war: Ich sage, die Antithese war: stimmt gar nicht, ich schreibe, die Synthese ist: Letzen Endes ist alles, was ich tue, zu erklären, eine Sache, die sowohl dem sprechen als auch dem schreiben gemeinsam ist. (Kurze Anmerkung: Dieses Suchen von etwas gemeinsamen einer Menge von Sachen nennt sich Abstraktion. Wenn ich danach frage, was das gemeinsame von Rosen, Ahorn und Algen ist, dann komme ich zum Begriff der "Pflanze". Abstraktion heißt "absehen", das, wovon abgesehen wird, sind die Unterschiede zwischen den Sachen: Rote Blüte, Blatt und holziger Stamm, Einzeller - davon sehe ich ab, übrig bleibt sowas wie Chlorophyll oder Zellwand, was das gemeinsame aller Pflanzen ausmacht. Ist natürlich nicht ganz richtig, das gemeinsame der Pflanzen ist im wesentlichen ihre Evolution, gibt halt auch Pflanzen ohne Chlorophyll, aber darum soll's hier nicht gehen, ich will ja immer nur veranschaulichen, wenn ich hier über Sachen rede. Eben gerade wollte ich veranschaulichen, was Abstraktion bedeutet, das ist vielen Leuten ja nicht so richtig klar und ein sehr wichtiger Begriff in der Logik des Denkens.)
Und in der Tat, da hab ich jetzt gerade wirklich Dialektik betrieben, aber darin erschöpft sich Dialektik nicht und es ist vor allem auch keine allgemeine Methode. Das ist das, was zum Beispiel Popper unter Dialektik versteht: Man macht eine Behauptung und versucht dann krampfhaft, die zu Widerlegen, was raus kommt, ist dann eine neue These und die widerlegt man am besten auch gleich. So stellt Popper sich Dialektik vor und mit einer solchen Dialektik wäre Popper auch zufrieden, man sollte das nur seiner Meinung nach lieber "Trial and Error" nennen und nicht behaupten dass da am Ende auch nur ein bißchen Wahrheit herauskommen würde.
Ich sage, wir haben durch die Dialektik eben doch durchaus etwas gelernt, nämlich, was das gemeinsame von Sprechen und Schreiben ist, die Erklärung in Begriffen.
Vielleicht hab ich da etwas übersehen und es ließe sich noch viel mehr oder etwas ganz anderes über Sprechen und Schreiben sagen, das ist gerade nicht so wichtig, ich wollte nur einen kurzen Einblick in Dialektik geben.
So, jetzt zu dem, was viele Leute sich falsch unter Dialektik vorstellen, Popper hab ich kurz erwähnt, der ist ein bürgerlicher, jetzt mal zu falscher Vorstellung von Dialektik, wie sie auch manche Marxisten und ihre Vorgänger teilen.
Zu Hegel, der sah Dialektik nicht nur in den Begriffen, der sah sie in der Welt wirken. Für Hegel gilt nicht, dass wir durch vernünftiges Schlussfolgern Erkenntnisse über die Welt ziehen, für ihn galt viel mehr, dass Vernunft in der Welt liegt, die da erkannt wird. Das führt zu einer interessanten Art des Urteilens: Für Hegel ist eine Sache dann vernünftig, wenn sie verstanden ist. Wenn ich etwa in der Lage bin, zu beweisen, dass Kapitalismus funktioniert, dann ist Kapitalismus für Hegel damit vernünftig und eine Sache gegen die man sich nicht wehren sollte.
Kritiker Hegels, die Junghegelianer, gingen vom begreifen über zum kritisieren. Während für Hegel schon feststand, dass eine Sache gut ist, wenn sich darüber nachdenken lässt ("Was wirklich ist, ist auch vernünftig", "Das Ganze ist das Wahre"), war für die Junghegelianer klar, dass man die Sachen alle kritisieren muss. Für die Junghegelianer müssen die wahren Begriffe also erst noch realisiert werden. Es reicht nicht, zu sagen, was Gesellschaft ist, man soll sich kritisch zur Gesellschaft verhalten und stattdessen von einer wahren Gesellschaft träumen.
Dann kam Marx und meinte: Alles ******** mit dieser Dialektik wie ihr sie betreibt. Ob ich eine Sache gut finde oder sie kritisiere, das weiß ich doch erst, nachdem ich überhaupt schon etwas von dieser Sache verstanden habe.
Während also Althegelianer und Junghegelianer Dialektik und Kritik als methodisches Vorurteil verstehen - man befolge einfach die "Regeln der Dialektik" oder stelle sich im voraus kritisch zu allem und jedem und kommt immer zu einem wahren Ergebnis - ist Dialektik bei Marx nur noch die Methode der Darstellung von Wissen, das man bereits gesammelt hat.
Dein Bild von Dialektik, Liane, nach dem Dialektik eine Methode wäre, ist deshalb ja gar nicht so unbegründet, das denken wirklich viele und Dialektik als Methode wäre tatsächlich kritikwürdig. Ob eine Methode zu etwas taugt, steht eben nie fest, wenn ich noch gar nichts über eine Sache weiß. Ich kann zum Beispiel niemandem empfehlen, "Messung mit einem Linial" als Methode der Wahrheitsfindung zu benutzen, wenn ich über die Sache, deren Wahrheit entdeckt werden soll, noch ganz und gar im dunkeln liegt. Mit einem Linial kann ich messen, wenn ich eine Länge vergleichen will, was ja auch schonmal bedeutet, dass das Ding, mit dem ich mich beschäftige, eine Länge hat. Dass es eine Länge hat, das muss ich über das Ding aber wirklich schon wissen, bevor diese Methode einen Sinn hat. Ich kann also wirklich nicht behaupten, dass eine Methode als Vorurteil mir irgendein Wissen versprechen würde. Ein Linial an eine Steuererklärung anzulegen bringt mir beispielsweise gar nichts. Und mit Dialektik kann ich meine Penislänge nicht messen, sondern sie höchstens ersetzen, indem ich viel von "Synthese" rede.
So, Dialektik ist also keine Methode. Dialektik taugt aber sehr gut zur Darstellung von Wissen. Das geht so: Die ganze Menge an Begriffen, die ich benutze, bilden eine Totalität, ein System, in dem, wenn ich gut arbeite, jeder Begriff unersetzlich zur Erklärung eines Sachverhalts taugt und kein Begriff überflüssig ist. Wenn ich etwa die Totalität des Kapitalismus erklären will, dann rede ich nicht über Ästhetik, außer ich kenne einen Umstand, der beides verbindet. Und wenn ich über Kapitalismus rede und so tue, als würde es kein Geld oder keine Armut geben, dann ist der ganze Rest an Begriffen, die ich auffahre, offensichtlich auch zu nichts nutze. Wenn ich eine Darstellung des Kapitalismus leiste, so wie Marx das macht, dann wird das System an Begriffen, die ich auffahre, nach und nach immer größer. Marx fängt mit dem Begriff der Ware an und sagt: Waren, das sind Produkte menschlicher Anstrengung, die getauscht werden. Dann macht er mit dem Tauschen weiter: Beim Tauschen werden verschiedene Dinge nach gleich gegen gleich getauscht. Und wieder geht es weiter: Wären diese Dinge ihrer Qualität (nicht: Güte, sondern: sachliche Eigenschaften) nach gleich, müsste man sie aber gar nicht erst tauschen! (Ein Widerspruch!) So kann sich das also nicht verhalten. Das, was da getauscht wird, ist also nicht die Ware als Ding (das man anfassen kann oder nicht), sondern die Ware als Verdinglichung von etwas, was allen Waren gemeinsam ist. Außerdem wird da nach Quantitäten getauscht, x Ware A = y Ware B. Das gleiche, was da in diesen Waren liegt, ist die gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeitskraft, die zur Produktion der Waren benutzt wird. Und so weiter und so fort, da geht es dann weiter, und je weiter man in der Darstellung kommt, desto mehr weiß man über alle Begriffe, die in der Darstellung vorher zum Einsatz kamen.
Bei Marx zum Beispiel ist von Ausbeutung eine Zeit lang überhaupt keine Rede. Die Ausbeutung zeigt sich nicht im Tausch, den Marx eingangs behandelt, sondern erst in der Produktion, in der etwas getauscht wird, was gar nicht gleich zu allen anderen Waren ist: Arbeitskraft. Natürlich wusste Marx auch schon bevor er das Kapital geschrieben hat, dass sich das so verhält. Die Idee ist ihm nicht erst beim Schreiben gekommen. Das bedeutet: Marx setzt Dialektik hier nicht als Methode der Erkenntnis ein, sondern lediglich, um seine logischen Schlüsse sauber und nachvollziehbar aufzuschreiben. Dabei achtet Marx darauf, keine Vorgriffe zu machen, sondern die Begriffe Schritt für Schritt, Schluss um Schluss und Urteil um Urteil zu entwickeln.
Jetzt gibt es auch noch andere Auffassungen von Dialektik. Nachdem entwickeln sich nicht nur die Begriffe dialektisch, sondern die Sachen. Eine solche Sache ist etwa die Geschichte. Demnach entwickelt sich die Geschichte Dialektisch, als Abfolge von These, Antithese und Synthese. Das wirkt dann so, als würde eine Vernunft in der Geschichte liegen: Dass in Sparta mal ein König geherrscht hat, führt schon irgendwie irgendwann dazu, dass morgen Kommunismus ist. Und dass mal Faschismus sein würde, das stand nicht nur erst mit der französischen Revolution fest, sondern sogar schon damals, als der erste Urmensch den ersten Begriff in den Mund genommen hat (in die Richtung würde Adorno in der Dialektik der Aufklärung gehen).