Aber machen nicht gerade die Prinzipien unsere Individualität aus? Ich meine jetzt nicht gesellschaftlich indoktrinierte Prinzipien, sondern um selbstgewählte Prinizpien. Sicherlich hat sich der Typ bei "Die Welle" am Ende erschossen, aber resultiert das nicht eher daraus, dass er in der Bewegung eine Art Familie, bzw. Familienersatz gefunden hat, der ihn so respektiert wie er ist? Konnte er in dieser Bewegung nicht jemand sein, der er ohne das Projekt niemals hätte sein können?
nein, nicht individualität, es ist identität. gleichsetzung anhand von prinzipien.
das zugerichtete subjekt kann sich selbst nicht erleben, außer als objekt. es bezieht sein inneres aus dem äußeren. durch das gequatsche von selbstwert und gesellschaft kann es sein inneres gar nicht anders denken als in der direkten gleichsetzung von sich selbst mit seinem äußeren.
das geht nicht nur in form von doktrination, ganz im gegenteil, das ist ein hochgeradig freiwilliger prozess. das, was da angenommen wird, wird gerne angenommen, weil es in der tat eine lücke füllt und den falschen gesellschaftlichen zusammenhang ohne konkrete, äußere gewalt vermitteln kann, stattdessen in form kollektiver geborgenheit und eben identität.
das ist aus mehreren gründen falsch und gefährlich. erstens, weil das zugrundeliegende problem durch die mechanistische vorstellung von gesellschaft - jeder ist ein wichtiges rädchen im getriebe, eine zelle im organischen volkskörper - den falschen zusammenhang reproduziert und zweitens weil das subjekt in krisensituationen vor dem nichts steht und zu allerlei grausamkeit in der lage sein wird. wenn das äußere, aus dem das gewissen bezogen wird, ruiniert wird, dann das gewissen gleich mit.
der am besten sozialisierte mensch ist in wirklichkeit der größte asoziale. das raubtier mit gesundem appetit.
Ich finde, dass die Durchsetzung von selbstgewählten Prinzipien einiges an Charakterstärke erfordert. Ghandi zum Beispiel hat immer auf den gewaltlosen Widerstand gesetzt und sich mehrere Male fast zu Tode gehungert um seinen Grundsätzen nachdruck zu verleihen.
Nun stellt sich mir immernoch die Frage, was bringt Menschen wie Ghandi dazu so beharrlich zu bleiben? Und was fehlt uns anderen um so gefestigt zu sein?
subjektleugnung. das leben dem falschen ganzen zu opfern, das als falsch erkannt wurde, womit man sich selbst auch ruiniert. die andere seite des selben geldscheins.
prinzipien sind jedenfalls nicht so individuell, wie du dir das vorstellst. die einforderung von prinzipientreue taugt vielleicht für talkshowpsychologie, verkennt aber, dass der prinzipienfeste mensch nicht alleine im leeren raum steht.