Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit das ist also nicht in Gefahr wenn der Staat alles über seine Bürger weiß?
Am Anfang jeder Restriktion steht immer die Überwachung weil sonst weiß der Staat ja nicht wo er zugreifen soll.
Natürlich verschiebt sich z.B das Machtverhältnis wenn Demonstranten zwar vermummt sind man aber durch das Handy weiß wer mit wem was besprochen hat. Jetzt sag nicht Vermummung war auf Demos eh verboten. Darum geht es nicht.
Was ist das den für eine konservative Haltung?" Der Staat ist so also ist es so." Wenn man weiß das das staatliches Interesse sich gegen einen richtet. Dann muss man doch auch einsehen das die Mittel die der Staat einsetzt um sein Interesse zu verwirklichen sich auch gegen einen richten werden. Es ist doch illusorisch zu glauben der Staat würde diese Mittel aus höherer Eingebung nur zur Wirtschaftspionage und gegen Islamistische Terroristen einsetzen. Deshalb verstehe ich diese Gleichgültigkeit nicht. Hat ja einen Grund warum Wahlen z.B geheim sind. Das ist ein Schutz des Bürgers vor dem Staat.
Also erst einmal vorgeschoben: konservativ ist an der Haltung genau gar nichts.
Nimms mir nicht übel, aber ich bin es leid an jede Kritik an falscher Kritik anzufügen, dass ich dadurch, dass ich Kritik kritisiere, nicht das Objekt der Kritik affirmiere. Kurz gesagt: ich finde Staatliche Spionage nicht geil und begrüßenswert, nur weil ich eine bestimmte Art von Kritik daran kritisere. Und ich erteile damit auch pragmatischen Erwägungen nicht per se gleich eine Absage.
Und nun zum eigentlichen. Ich warne vor, das könnte für einige Leute jetzt etwas langweilig werden, weil ich versuchen werde die Art von Kritik die wir hier vorbringen ein bisschen zu erläutern. Es ist erst einmal nichts daran auszusetzen, Sachen an ihrem eigenen Maßstab, oder an dem mit ihnen gesetzten Maßstab, zu messen. Es ist sogar ein ziemlich guter Ansatzpunkt von Kritik, weil sie ihren Maßstab nicht rechtfertigen muss. Wenn ich behaupte ich wäre für Gleichberechtigung und Toleranz, gleichzeitig aber Geld an rechtspopulistische Blätter spende, dann kann man mich schon mal auf meinen internen Widerspruch festnageln und dafür kritisieren, ohne dass es notwendig wäre auch noch auszuweisen, warum Gleichberechtigung und Toleranz jetzt etwas erstrebenswertes wäre.
Jetzt ist dies natürlich eine relativ banale Widersprüchlichkeit, aber das ist in etwa auch das Muster, nach dem Gesellschaftskritik heutzutage meistens abläuft. Man misst da Sachen an ihrem eigenen Maßstab und stellt fest, dass sie ihm nicht gerecht werden. Die typische Oliver-Stone Masche ist da das beste Beispiel. Da sind diese USA, die seit jeher für Freiheit und Selbstbestimmung stehen und für Demokratie werben, aber gleichzeitig von Korruption zerfressen sind und auch gerne mal Militärdiktaturen im Ausland fördern, sofern sie amerikafreundlich gesinnt sind.
Genau das selbe Muster verfolgst du ja auch, wenn du behauptest, einerseits Stünde bürgerliche Gesellschaft für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, andererseits untergraben Staaten, die sich als bürgerliche Gesellschaften verstehen, eben diese Werte mit ihren Geheimdienstaktivitäten.
Es mag nun ja durchaus sein, dass es einen Widerspruch zwischen dem bürgerlichem Selbstverständnis und bürgerlicher Praxis gibt. Aber davon ausgehend die Rückbesinnung auf das Selbstverständnis zu fordern, bedeutet das damit einhergehende
Idealbild als das Wesen der bürgerlichen Gesellschaft anzuerkennen und lediglich die mangelnde Umsetzung zu kritisieren. Ideologiekritik daran wird nun häufig so (miss)verstanden: Der Kritiker kritisiert das Idealbild als schlichtweg falsch, als bloße Illusion und setzt dem "die Realität" entgegen. Die bürgerliche Gesellschaft sei etwas vollkommen anderes als der Ideologe sich vorstelle. Unter anderem daher stammt dieses alberne Bild des Marxisten als "Umdefinierers", oder der Vorwurf Ideologiekritik sei anmaßend, da sie impliziere von sich selbst zu behaupten über das "richtige", nichtideologische Bewusstsein zu verfügen.
Ideologiekritik besteht aber nicht darin bloß ein "tatsächliches Wesen" zu behaupten, das etwas vollkommen anderes sei, als die Ideologie es behaupte. Es ist auch etwas anderes als bloß zu behaupten, dass die "Realität" sich nicht einfach mal eben nach unseren Idealen richtet. Ideologiekritik erklärt den
Zusammenhang und die
Wechselwirkung zwischen Ideologie und gesellschaftlichen Verhältnissen. Soll hier im konkreten Fall heißen: sie erklärt wie das Idealbild einerseits überhaupt erst als ideologische Auffassung von den gesellschaftlichen Verhältnissen hervorgebracht wird und andererseits die Verhältnisse reproduziert, die es zu untergraben scheinen.
Der Archetyp für eine solche Form von Kritik ist die Marx'sche Religionskritik. Extrem verkürzt kann man sagen - Marx sieht die Religion als Spiegel des gesellschaftlichen Elends und findet in ihr den Wunsch nach einem nichtentfremdeten Leben in materieller Versorgtheit auf. Aber gerade indem sie die Erfüllung der diesseitigen Wünsche im Jenseits verspricht, trägt sie dazu bei das diesseitige Elend zu manifestieren. Daher auch die Opiummetapher.
Diese "Parabel" ist im Bezug auf bürgerliche Ideologie und die aktuelle Verfasstheit bürgerlicher Gesellschaften etwas schwieriger herzustellen, weil da sicherlich auch eine Menge Erkentnisse drinstecken müssen, die erst nach einer Analyse überhaupt denkbar sind, also entsprechend nicht auf der Hand liegen. Erstens bin ich jetzt schon todmüde und hab krassen Zeitmangel, und zweitens kann das Hugo eh viel besser (sry, bro), der hier wieder fleißig am Posten zu sein scheint.
Was aber der Hauptunterschied zwischen dir und uns ist, der daraus folgt: Du kritisierst unsere Gesellschaft als eine in der die bürgerlichen Werte mangelhaft umgesetzt sind. Wir kritisieren nicht den Grad der Umsetzung, sondern die Werte an sich, als solche, die prinzipiell nicht widerspruchsfrei umsetzbar sind, als solche, die unsere Gesellschaft, die wir als kritikwürdig empfinden, reproduzieren und keinesfalls im Gegensatz zu ihr stehen.
Du kritisierst Spionage als eine Abwendung vom bürgerlichen Staat. Wir kritisieren Spionage als erfolgreiche Betätigung des bürgerlichen Staates im Sinne seines Zwecks.
Ist jetzt tatsächlich mehr ein Ausflug in die Welt der Ideologiekritik geworden, als ne konkrete Kritik von dir, aber ich hatte das Bedürfnis mir das von der Seele zu reden.